Von der Tugendethik zur Ethik des Utilitarismus

Oder: Warum soll ich Gutes tun?

Die Grundproblematik der Philosophie Luthers und die Folgen

Das Verhältnis von Person und Handlung – oder wem nützen oder schaden meine Werke?

Die luthersche Philosophie als Wegbereiterin des Utilitarismus

Luthers problematische Sicht vom Verhältnis zwischen Person und Handlung äußert sich in folgendem Satz:

„Fides facit personam, persona facit opera.“

(Dt.: Erst der Glaube macht die Person, die Person macht die Werke.)

Doch wofür steht hier der Begriff Person?

› Erstens und negativ: Person ist nicht schon der Mensch oder das menschliche Individuum. Das Sein der Person ist überhaupt nichts substanzhaft Bestehendes – im Unterschied zum Sein des Menschen, der etwas eigenständig Wirkliches ist.

› Zweitens und positiv: das Sein der Person besteht allein durch den Glauben an Jesus Christus. Es ist reine Beziehung und im Akt des Glaubens durch das Erlösungshandeln Gottes konstituiert.

Aus diesen zwei Thesen entsteht die Frage, wie sich dann die menschlichen Handlungen zu dem allein im Akt des Glaubens konstituierten Sein der Person verhalten.

Luthers Antwort auf diese wesentliche Frage hat den Sinn des ethischen Handelns verändert und der utilitaristischen Ethik den Weg bereitet.

Seine Auffassung:

› die sittlichen Handlungen, also die Werke des Menschen, haben keinerlei konstitutive Bedeutung für die Seinsweise der Person. Allein Glaube und Unglaube entscheiden    über das Sein der Person vor Gott.

› die Werke oder Handlungen stehen nur in einem konsekutiven Verhältnis zur handelnden Person. Die Person konstituiert die Werke, aber nur der Glaube konstituiert das Sein der Person.

D.h., wir können hier von einem veränderten Begriff des sittlich Guten sprechen, der dem tugendethischen, Personen und Handlung umfassenden Begriff des Sittlichen entgegengesetzt ist und diesen ersetzen soll.

Mit der Trennung von Person und Handlung ist Luther zum Wegbereiter des und utilitaristischen Moralprinzips geworden, das Robert Spaemann so auf den Punkt gebracht hat: „sittlich gut ist, woraus gutes folgt“.

Auch ein Verstoß gegen das natürliche Sittengesetz und die zehn Gebote ist dann gerechtfertigt, wenn daraus mehr Gutes als Schlechtes folgt.

Für Luther ist diese Theologie eine Konsequenz aus seiner These vom unfreien Willen, die den Grundriss seiner gesamten Theologie bestimmt. Der Auseinandersetzung um Freiheit bzw. Unfreiheit des Willens hat Luther darum größte Bedeutung zugemessen.

I. Aus Luthers Thesen von der Unfreiheit des Willens folgt seine neue Sicht der Person als „nos extra nos“: als Person sind wir außerhalb von uns selbst.

Für Aristoteles ist Tugend eine sittliche Qualität der Person, die nicht unabhängig vom Handeln und Leben der Person erworben wird. Um gerecht zu sein, muss man aus freiem Willen um der Gerechtigkeit willen handeln, nicht mal so – mal anders, sondern immer wieder in derselben Weise: um der Gerechtigkeit willen. Für Luther dagegen gilt: der freie Wille ist und bleibt der geknechtete Wille, weshalb die Gerechtigkeit der Person nur ohne Bezug auf ihr Handeln gedacht werden kann. „Nicht in dem wir gerecht handeln, werden wir gerecht, sondern gerecht gemacht durch den Glauben, handeln wir gerecht.“

Was heißt bei Luther „Person“ und „Mensch“?

Prof. Wald:

II. Diese „extrinsische“ Realität der Person hat nichts mit dem intrinsischen Sein des Menschen zu tun, das ganz und gar das Sein eines Sünders ist und bleiben wird für die gesamte Dauer seiner Existenz.

III. Die von Luther selbst gesehen Schwierigkeit, deren Auflösung zu einem neuen und utilitaristischen Verständnis des sittlich Guten führt, ist die folgende: aus der prinzipiellen Unerfahrbarkeit eines weder substantial noch subjekthaft gedachten Seins folgt die Notwendigkeit der Selbstvergewisserung des Glaubens.

IV. Ob der Glaube lebendig ist, zeigt sich an der veränderten Einstellung des Glaubenden zu seinem Handeln: Wer frei und unbesorgt um sein Heil allein den Nutzen des Anderen vor Augen hat, dessen Glaube ist echt und damit auch sein Heil gewiss. Als Mensch bleibt er zwar Sünder, doch als Glauben der ist er frei von den Folgen der Sünde. Diese Befreiung, die das Bewusstsein des Handelnden bestimmen soll, nennt Luther die „evangelica libertas conscientiae“ – die im Evangelium begründete Freiheit des Gewissens.

V. Das von Schuld unbelastete freie Gewissen ist im Absehen von sich selbst die Wurzel des Utilitarismus.

Was heisst Utilitarismus?

Prof. Wald:

Kann ich in meinem Verhältnis zu Gott etwa durch meine Taten ändern?

Prof. Wald:

Der ganze Vortrag von Prof. Wald „Personbegriff und Handlungssinn bei Martin Luther: Von der Tugendethik zur Ethik des Utilitarismus“ ist nachlesbar hier.

Zum Nachschauen gibt es hier das Video in drei Teilen: