Die Mehrkausalität der Reformation

Im Prinzip ist die Reformation aufgrund des Zusammentreffens verschiedener Faktoren zustande gekommen. Allein die lutherische Rebellion gegen die katholische Lehre, den Papst und die Kirche hätte die Glaubensspaltung nicht verursachen können. Schon vorher hatte es verschiedene Kritiker gegeben, die, ebenso wie Luther, an verschiedenen Missständen der Kirche Anstoß nahmen, und eine Reform gefordert hatten zum Beispiel Wicliff in England oder Jan Hus, der ein tragisches Ende beim Konstanzer Konzil genommen hatte.

Die deutsche Erhebung

Auch der Kaiser und der Sonderbeauftragte des Papstes, Hieronymus Alexander, erkannten bald, dass die religiöse Krise mehr als nur eine Kontroverse zwischen Theologen war. Es war das leidenschaftliche Interesse, das die Fürsten und das Volk der neuen Lehre entgegenbrachten, die ihr den revolutionären Charakter verlieh. Die religiöse Bewegung erhielt einen stark nationalen Anstrich.

Verschiedene Konditionen entfesselten eine unwiderstehliche Dynamik.

Zwar waren die Argumente des Humanismus in seiner Kritik an der Kirche zum Teil gerechtfertigt (mangelnde Ausbildung der Theologen, Vernachlässigung der Seelsorge, ein nur oberflächliches religiöses Leben), allerdings wurde so die Autorität der Kirche untergraben. Das nationale Bewusstsein steigerte sich zum Nationalismus und damit logischerweise zum Fremdenhass, in diesem Falle war dies der Hass gegen Rom, der Hass gegen den Papst und das Lateinertum..

Mehr weltliche als geistliche Bischöfe

Es waren weniger die Päpste aus Rom, vielmehr die deutschen Bischöfe, die durch überbordende Geldforderungen den letzten Anschluss zur Revolution gaben. Erzbischof Albrecht von Brandenburg bezahlte seine enormen Schulden, die er beim Bankhaus Fugger hatte, mit Ablassgeldern. Beamte des Bankhauses begleiteten sogar den Ablassprediger Tetzel und kassierten gleich an Ort und Stelle das Geld, das fromme Menschen in Hoffnung auf ihr Seelenheil für einen Ablassbrief ausgaben. Die Habsucht Erzbischof Albrechts trieb ihn sogar dazu, seinen Herrschaftsbereich auszuweiten und dem Erzbistum Magdeburg noch das Erzbistum Mainz einzugliedern.

Damit hatte er nahezu das gesamte Gebiet des Kurfürsten von Sachsen unter seine kirchliche Autorität gestellt. Der Konflikt mit der weltlichen Macht ließ nicht lange auf sich warten, denn der Kurfürst konnte nicht tatenlos zusehen, dass Albrecht immer mehr weltliche Macht ausübte. Logischerweise sympathisierte er mit der Reformation.

Die Fürsten benutzen die Reformation für ihre eigenen Interessen

Die Fürsten sahen ihre Gelegenheit gekommen und ergriffen, unter dem Vorwand der Lehren und der Verdammung des Papsttums durch Luther von den Kirchengütern Besitz. Die religiöse Begeisterung hatte also eher wirtschaftliche und persönliche Gründe. Auch geistliche Kurfürsten nutzten die Möglichkeit, ihre geistlichen Würden in eine zeitliche und erbliche Regierung umzuwandeln, eine Dynastie zu begründen oder aber ihrem Haus neue Gebiete einzuverleiben. Es wundert nicht, dass sie umso begeisterter von der Sache Luthers waren, und sich einem Konzil widersetzten, da sie befürchten mussten dass sie die widerrechtlich angeeigneten Kirchengüter wieder zurückgeben mussten.

Die Schutzherren Luthers

Die ernestinische Linie der Sachsen ist auf das engste mit Martin Luther und der Reformation verbunden.  Von Anfang an unterstützt Kurfürst Friedrich III, genannt der Weise den Mönch aus Wittenberg und wird damit zu einem Wegbereiter der Reformation in Deutschland.

Friedrich der Weise, einer der bedeutendsten Reichsfürsten, war ein zutiefst religiöser Mann und besaß eine der größten und umfangreichsten Heiltümer-(Reliquien-)sammlungen seiner Zeit in Europa. Er gründete 1502 die Universität zu Wittenberg, an der Luther schließlich lehrte und wo er mit seinen 95 Thesen an die Öffentlichkeit trat. Es ist wohl Friedrichs Einfluss zu verdanken, daß Luther nicht sofort geächtet und schließlich vor dem Reichstag angehört wurde. Anschließend lässt ihn Friedrich auf die Wartburg bringen, wo Luther sich als Junker Jörg verbarg und sich der Übersetzung des neuen Testaments widmete. Man kann sicher sein, daß auch eine adäquate finanzielle Unterstützung geflossen ist. Ohne den Einsatz von Kurfürst Friedrich III. hätte Luther wohl nie in dieser kurzen Zeit weite Kreise der Bevölkerung erreichen können.

Herzog Johann Friedrich, der Neffe von Friedrich III., gilt im ernestinischen Selbstverständnis als Glaubensheld. Mit Kaiser Karl V. verband ihn kein gutes Verhältnis.  Als Anführer des schmalkaldischen Bundes verkörperte er die reichsständische Opposition gegen Karls Idee vom universalen Kaisertum und einer einheitlichen Kirche. Nach der Schlacht von Mühlberg 1547, aus der die kaiserlichen Truppen siegreich gegen den schmalkaldischen Bund hervorgingen, verlor Johann Friedrich die Kurwürde. Sie ging über auf den albertinische Zweig, auf Kurfürst Moritz von Sachsen.

Der Entzug der Kurwürde nach Mühlberg wurde ein tiefes Trauma für die Ernestiner. Schließlich gelang ihnen aber die Umdeutung, zugunsten ihres dynastischen Selbstverständnisses dieser militärischen Niederlage in einen moralischen Sieg: Unter größtmöglichen Opfern haben die Ernestiner die Reformation Luthers geschützt und gefördert.

Der Cranach-Altar in der Weimarer Stadtkirche gibt ein lebhaftes Zeugnis von diesem neuen Verständnis.

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