„Es geht um das Gottesbild“
Ein Gespräch mit dem Philosophen Franz Kronbeck
Das „Reformationsjubiläum“ hat eine Lawine an neuer Luther-Literatur produziert. Die auch von katholischer Seite angeheizte „Festtagsstimmung“ läßt kritische Äußerungen kaum zu. Wenn auch hier und da Luthers Ausfälle gegen die Juden oder die aufständischen Bauern beklagt werden, trauen sich nur wenige, eine grundsätzliche Ablehnung der „reformatorischen Anliegen“ zu formulieren. Der Philosoph Franz Kronbeck hat jetzt mit einem eigenen Buch (siehe Literaturverzeichnis) über den vom Katholischen abgefallenen Priestermönch von Wittenberg diese Sprachlosigkeit durchbrochen.
Frage: Luther ist ja in diesem Jahr in aller Munde. Es gibt inzwischen unzählige Bücher über Martin Luther. Was hat Sie bewogen, nun noch eines draufzulegen?
Antwort: Ich hatte eigentlich vor, in einigen kurzen Artikeln die wichtigsten Aspekte der Theologie Luthers zusammenzufassen. Als ich dann verschiedenen Leuten davon erzählte und einige Passagen daraus vorlas, haben diese gesagt: „Das ist ja unglaublich, das haben wir noch nie gehört. Hat das Luther wirklich so gesagt? Wenn du solche Dinge bringst, dann muß du sie genau belegen können.“ Also habe ich die Zitate Luthers, wie man sie aus der Sekundär-Literatur kennt, aus der Weimarer Ausgabe, die übrigens im Internet einsehbar ist, herausgesucht und angeführt, damit keiner sagen kann: „So etwas kann ja Luther gar nicht gesagt haben“!
Was sollen das für Aussagen sein, die so unglaublich sind?
Zum Beispiel, was Luther über Gott gesagt hat, daß er es Gott-Vater unterstellt, das Böse in sich zu tragen. Aber dann auch seine Christologie und seine Leugnung der Willensfreiheit des Menschen.
Das sind alles Dinge, die ja in den letzten Jahren schon von anderen Autoren auf den Tisch gelegt wurden, etwa von Prof. Alma von Stockhausen, oder von Albert Mock. Bringt Ihr Buch dazu etwas Neues?
Nun, man müßte hier auch Paul Hacker nennen, oder Theobald Beer, oder Dietrich Emme und neuerdings Richard Niedermeier, aber auch vor allem Ignaz Döllinger, den alten Kirchenhistoriker, der sehr tief in die Lehre Luthers eingedrungen ist. Was ich aber gemacht habe, ist dies, daß ich auf etwas mehr als 100 Seiten eine Art Quintessenz, einen gut verständlichen Überblick biete über die wichtigsten Thesen zur Person und zur Theologie Luthers. Was die Beschäftigung mit Luther oft so anstrengend macht, ist ja vor allem, daß es so viele Widersprüche gibt, daß es fast zu jeder Aussage Luthers eine Aussage gibt die so ziemlich das Gegenteil besagt. Nach und nach habe ich bemerkt, daß es gewissermaßen einen roten Faden gibt, von dem aus man die ganzen Widersprüche und Verwicklungen in der Theologie Luthers aufwickeln kann. Und plötzlich fängt alles an, zu sprechen. Wenn man die These, daß Luther nicht freiwillig, sondern aus Angst vor Strafverfolgung – auch wenn dies von den Historikern kontrovers diskutiert wird – ernst nimmt, dann findet man darin einen „hermeneutischen Schlüssel“, um Luther zu verstehen.
Sie sprechen von einer drohenden Strafverfolgung? Ist es denn nicht so, daß Luther als Jurastudent auf der Rückreise von einem Besuch bei seinen Eltern bei einem Gewitter von einem Blitz zu Tode erschreckt der hl. Anna gelobt hat, ins Kloster zu gehen?
Das „Blitzschlagerlebnis“ wird inzwischen von nicht wenigen Forschern bezweifelt, weil es von Luther selbst, der gerade in solchen Dingen sehr gesprächig war, nirgends erwähnt wird. Und was die andere Sache, die Strafverfolgung, betrifft, so hat schon in den 80-er Jahren Dietrich Emme Indizien vorgelegt, die meiner Meinung nach von großem Gewicht sind. Diese besagen, daß Martin Luther als junger Bursche im Zweikampf einen Studienkameraden ums Leben gebracht hat, und aus Angst vor der Todesstrafe, die alleine schon auf das Führen von Zweikämpfen, ganz egal wie sie ausgehen, verhängt wurde, ins Kloster geflohen sei.
Ist das nicht bloß Propaganda?
Nach fünfhundert Jahren kann man da sicher nichts mehr „beweisen“, im kriminologischen Sinn. Aber es gibt nicht nur zahlreiche Hinweise und Aussagen, die Luther selbst gemacht hat, und die in dieser Hinsicht ziemlich deutlich sind – ich habe einige davon in meinem Buch angeführt – sondern es schließt sich einem, wenn man von diesem Tatbestand ausgeht, plötzlich die gesamte neue Theologie Luthers auf. Wie durch einen Zauberstab bekommen Dinge, die an sich völlig unverständlich sind, plötzlich einen Sinn.
Sie spielen an auf das zentrale Thema Luthers, auf seine Suche nach dem gnädigen Gott? Es wird doch gewissermaßen als der Kern seiner Lehre angesehen, daß uns Luther von dem mittelalterlichen Gottesbild, von einem strafenden Gott, befreit hat, daß er gelehrt hat, daß wir uns auch als Sünder nicht vor Gott fürchten müssen…
Nein, das ist so ziemlich die schlimmste Verdrehung und Verleumdung, die es gibt! Das „mittelalterliche“ Gottesbild war nie und nimmer das eines grausamen Rächers, wie es heute leider sogar von manchen katholischen Theologen dargestellt wird. Der einzige, der Gott für ein Ungeheuer hielt, war Luther selbst! Er sagt beispielsweise, Gott sei “so widersinnig mächtig, daß er das Gute und das Böse, zwei unvereinbare Dinge, auf die Einheit seiner ewigen Natur zurückführt.” (WA 40, II, S. 417.)
Aber wie kommt er dazu, solche Dinge über Gott zu behaupten?
Genau das ist die entscheidende Frage, und der Grund, warum ich es für durchaus plausibel halte, daß Martin Luthers Lebensgeschichte ganz anders verlaufen ist, als uns die protestantischen und mittlerweile auch katholischen Hagiographien – ich denke etwa an Kardinal Kaspers neues Buch – glauben lassen. Wenn man am Anfang seiner Entwicklung, am Anfang seiner Theologie die ungelöste Schuldfrage, ja ein traumatisierendes Schulderlebnis annimmt, dann fängt alles übrige an zu sprechen: Das jahrzehntelange Ringen mit Gott, die Leugnung der Willensfreiheit des Menschen, wodurch die Übertragung der Schuld auf Gott möglich wird, dann die beständigen Ängste Luthers vor dem strafenden Gott, und die daraus folgende „Suche nach einem gnädigen Gott“; und schließlich die totale Verkehrung der zentralsten Punkte der Erlösungslehre und der Christologie. Was Luther in all diesen Fragen vorgebracht hat, ist so grundlegend anders, als das, was die Kirche immer gesagt hat. Es ist nicht nur dem, was die Kirchenväter und die Scholastiker gelehrt haben, sondern gerade auch dem, was in der Bibel über Gott ausgesagt wird, so diametral entgegengesetzt, daß man sich fragen muß, was da passiert ist. Martin Luther war ein vergleichbar gut gebildeter Theologe, der ganz sicher die klassische Lehre gekannt hat. Mit Nachdruck verwirft er immer wieder alles, das Zeugnis der Bibel von Gott, die Philosophie, die Lehre der Kirchenväter, und er baut auf seiner eigenen Sichtweise eine gewaltige Verschwörungstheorie auf.
Die lautet?
Die Papstkirche hätte uns die wahre Lehre Christi – die nun, nach 1.500 Jahren, Luther angeblich wiederentdeckt hätte – vorenthalten, um Macht über die Menschen zu bekommen. Denn wenn es keine Willensfreiheit gibt, dann trägt auch der Sünder keine Schuld an der Sünde. Das führt freilich zu einem völlig neuen Begriff von „Rechtfertigung“ und Erlösung. Die Kirche hat von Anfang an gelehrt, daß wir durch das Kreuzesopfer Christi und durch die Gnade Gottes von den Mächten des Bösen befreit sind, so daß wir, vom Zwang zur Sünde befreit, Gott durch ein mehr und mehr heiligmäßiges Leben immer näherkommen können. Martin Luther hat so Großartiges weder dem Menschen noch Gott zugetraut. Das subtile Miteinander von Gnade und menschlicher Freiheit, von göttlicher Erstursache und geschöpflicher Mitwirkung hat er nicht fassen können. Bei Luther bekommt die „Erlösung“ einen völlig neuen Charakter. Es gibt für ihn keine gnadenhafte Umgestaltung der Seele. Er sagt vielmehr, daß wir als Sünder gerechtfertigt sind, daß wir immer Sünder bleiben, weil wir gar nicht anders können, als ständig zu sündigen, und daß wir deshalb auch weiterhin im Vertrauen auf Christus und seine Erlösungstat ruhig sündigen dürfen. Wenn er sagt, daß wir auch „ohne Werke“ gerechtfertigt sind, meint er genau das. Von „übernatürlicher Gnade“ ist bei ihm in diesem Zusammenhang keine Rede!
Das würde aber dem Menschen jede persönliche Verantwortung nehmen, wenn nicht sogar seine Freiheit!
Für einen normalen Menschen ist das eine absurde und schreckliche Vorstellung, aber für einen Menschen, der unter einer Schuldneurose leidet, ist es eine überaus beglückende Einsicht! Und mit der ihm eigenen Genialität hat Luther diesen theologischen Neuansatz zu einem ganzen Glaubenssystem ausgebaut.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, sich mit Luther zu beschäftigen? Luthers Theologie ist ja nicht gerade ein naheliegendes Thema für einen Philosophen?
Was mich an Luther vor allem interessiert hat und interessiert – und ich beschäftige mich seit über 20 Jahren intensiv mit ihm – das ist insbesondere die geistesgeschichtliche Entwicklung, die auf ihn hingeführt hat, und die durch ihn losgetreten wurde.
Was meinen Sie damit konkret?
Luther ist zwar ein Denker, den man nicht ohne seine Biographie begreifen kann, denn er ist durch und durch ein Subjektivist. Alles was er gedacht hat, nimmt von seinen persönlichen Problemen, um nicht zu sagen, von seinem neurotisch verengten Weltverhältnis seinen Ausgang. Doch daß seine neue Lehre so eingeschlagen hat, hängt damit zusammen, daß von einer ganz anderen Seite her die Zeit reif war für eine Revolution. Die Philosophen, aber auch die Theologen der Renaissance waren zu einem großen Teil noch viel radikaler als Luther; sie waren in ihren Ansichten oft längst jenseits des Christentums, und entwarfen eine neue Wissenschaft, die eine Welt ganz ohne Gott beschrieb. Und sie stellten den Menschen in das Zentrum der Welt, den autonomen, von Gott emanzipierten Menschen, der sich an die Stelle Gottes setzt.
Kündigt sich hier schon der moderne Subjektivismus an, wie ihn etwa Paul Hacker in seinem Buch: „Das Ich im Glauben bei Martin Luther“ beschrieben hat?
Nicht nur das. Von „Subjektivismus“ zu reden ist noch zu wenig, es geht um den modernen Anthropozentrismus, um den Menschen, der sich von der Herrschaft Gottes losgerissen hat, und nun um sich selbst kreist. Edith Stein hat den Unterschied von mittelalterlichem und neuzeitlichem Denken sehr schön auf den Punkt gebracht. Sie spricht vom „theozentrischen“ Denken im christlichen Mittelalter, und vom „egozentrischen“ Denken der Neuzeit. Martin Luther hat aufgrund persönlicher Betroffenheit das ganze noch schärfer formuliert: „Das Gewissen des Sünders wünscht, daß es Gott nicht gäbe!“ Luther hat unter dieser Problematik wirklich gelitten, aber er hat keine Lösung gefunden, was zur Folge hatte, daß er einen Widerspruch zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn konstruiert hat, einen Widerspruch, der im Grunde das Wesen des Christentums aufsprengt. Die Folgen für die Geistesgeschichte waren geradezu katastrophal, denn man kann solche Dinge, wenn sie einmal in der Welt sind, nicht mehr zurücknehmen. Sie haben die Entwicklung bestimmt. Luther hat die Krise des neu entstehenden Zeitalters, in dem es wesentlich um die Bestimmung des Verhältnisses von menschlicher Subjektivität und der Macht Gottes geht, nicht ausgehalten, er hat damit eine Entwicklung abgebrochen, die lebensnotwendig gewesen wäre, so daß das christliche Abendland seither in Agonie darniederliegt.
Sie sprechen von der “Krise der Renaissance“, ja von der „Krise der Neuzeit“, und sagen, Luther hätte hier eine Entwicklung abgebrochen. Es heißt doch immer, daß Luthers Beitrag für die Neuzeit nicht unwesentlich gewesen wäre, ja daß er mit seinem Thesenanschlag das Tor zur Neuzeit erst aufgestoßen habe.
Ja, wie soll ich das sagen? Schauen Sie, es gibt in der Heilkunde Leute, die sagen, daß die Gabe von Antibiotika eine Krankheit nicht ausheilt sondern „ein-heilt“, so daß die Krankheit dadurch auf eine tiefere Ebene verdrängt wird und als chronisches Leid wiederkehrt. Ob das in der Medizin wirklich genau so abläuft, kann ich nicht sagen, ich bin kein Biologe, aber in der Geistesgeschichte ist genau das der Fall: Nehmen Sie zum Beispiel die Frankfurter Schule. Das, was sie gebracht hat, ist nichts anderes, als die dritte oder vierte Auflage eben dieser Grundproblematik der Neuzeit, von der ich gerade sprach. Die Fundamental-Kritik der Dialektik der Aufklärung, wie sie Horkheimer so deutlich mit den Worten: „Alles ist falsch“, formuliert hat, rührt genau an dieses Problem. Nur folgt auf seine verkehrte Diagnose eine verkehrte, ja eine tödliche Therapie: Weil eben „alles“ verkehrt ist, müssen wir, so Horkheimer, die gesamte abendländische Kultur mitsamt ihren christlichen Wurzeln über Bord werfen. Die eigentliche Problematik, daß sich nämlich der Mensch in seinem Aufstand gegen Gott auf den Thron Gottes setzt, haben die Vordenker der Frankfurter Schule nicht annähernd erfaßt. So konnten sie und die 68-er in ihrem Gefolge die ungelöste Krise als Treibstoff für ihre politischen Zwecke mißbrauchen und die gärende Unruhe, die es gerade auch in den Herzen der Wert-Konservativen gab, gesellschaftspolitisch verfeuern. Und genau das hat schon bei Luther begonnen. Auch er hat die geistigen Verirrungen seiner Zeit, und ich rede hier nicht vom Ablaßhandel, sondern von viel grundlegenderen Dingen, ungeklärt gelassen, und er hat aus ihnen Zündstoff für einen Umsturz gemacht. Er hat damit das Abendland auf Abwege geführt, die es vom Christentum entfremdet haben, freilich vorbereitet und emporgetragen durch einen Zeitgeist, der unter derselben Krankheit litt, wie er.
Wie sehen diese „Abwege“ der Geistesgeschichte aus, von denen Sie sprechen, und sind diese auch in ihrem Buch näher beschrieben?
Nein, das kommt im Buch nur andeutungsweise vor, denn das wäre zu speziell gewesen. Aber Ihre Frage spricht eine ganz wichtige Sache an: Da gibt es einmal den Weg, den Alma von Stockhausen das Verdienst hat, in lebenslanger Arbeit herausgearbeitet zu haben. Er führt von Luther über Hegels Dialektik zu Darwin, und von dort zu Karl Marx, bis hin zur Frankfurter Schule. Und von Leuten wie Karl Rahner und seinen Schülern wurden dann diese Irrtümer auch in die katholische Theologie hineingetragen. Aber es gibt da noch einen zweiten Weg, einen Seitenweg, und dieser führt direkt vom Abgehen von der scholastischen Philosophie, der Philosophie des gesunden Menschenverstandes, über die Entwicklung der modernen Naturwissenschaften hin zu Darwin, und über Teilhard de Chardin zu Karl Rahner und der modernen Theologie. Daß diese beiden Wege zusammenführen, erklärt auch die unbändige Begierde, mit der die katholischen Theologen heute Luthers theologische Neubestimmungen aufnehmen: Denn, wenn Darwin Recht hatte, und der Mensch durch Evolution aus dem Tierreich hervorgegangen ist, dann ist die Geschichte vom Sündenfall ein Kindermärchen. Dann ist die eigentliche Tragik des Menschseins nicht die Sünde und damit eine Frage des freien Willens, sondern es ist alles nur eine Frage der Entwicklung des Geistes, die eben, solange sie noch nicht vollendet ist, das Böse möglich macht. Und damit wären wir wiederum bei den Grundsätzen Luthers. Dieser hat als erster das „vertikale“ Zueinander von Gott und Mensch, von übernatürlicher Gnade und natürlicher Freiheit in die Horizontale, in das zeitliche Nacheinander aufgelöst. Er hat an die Stelle der freien Entscheidung für oder gegen die Annahme der übernatürlichen Gnade die Wechselfolge von Sünde und Erlösung gesetzt, so wie er meinte, es selbst erlebt und erfahren zu haben: zunächst die Erfahrung der Unterworfenheit unter die Sünde, und dann, nach seinem „Turmerlebnis“, die Behauptung der Rechtfertigung des Sünders als Sünder. Diese besagt nämlich: ich bleibe Sünder, muß mich also im Herzen nicht ändern, bin aber durch Christus gerechtfertigt. Die protestantischen wie die katholischen Theologen folgen nun dieser Geschichtsdialektik, wenn sie sagen: Vor Christus sind alle verworfen, nach und durch den Kreuzestod Christi sind alle erlöst. Damit aber sind wir beim eigentlichen Problem der Neuzeit angekommen, nämlich daß sich der „Mensch der Sünde, der Sohn des Verderbens“, wie in der hl. Paulus in 2. Brief an die Thessaloniker (Kap. 2, Vers 3-4) nennt, selbst absolut setzt, ja daß der „Mensch der Sünde“ meint, der übernatürlichen Gnade nicht zu bedürfen. So „rechtfertigt“ er seine Untaten mit dem Hinweis auf sein Gewissen, und ersetzt das Streben nach Gleichgestaltung mit Christus, welches man früher „Heiligung“ nannte, durch die Scheinheiligkeit eines Gutmenschen, der die politischen Programme des „Herren der Welt“ gutgläubig vorantreibt.
Das würde ja bedeuten, daß die theologische Entwicklung der letzten Jahrzehnte nur die konsequente Ausfaltung eben jener Grundirrtümer ist, die durch die Theologie Luthers für das Werden der Neuzeit bestimmend wurden?
Es geht im Grunde um das Gottesbild! Damals wie heute. Luther hat im Zuge seiner theologischen Neubestimmungen auch die Dreifaltigkeitslehre umgedeutet, und zwar so radikal, daß er die hypostatische Union der Gottheit und der Menschheit in Christus leugnet, wie Theobald Beer und Albert Mock schon festgestellt haben. Wenn wir uns unter diesem Gesichtspunkt die heute an den Universitäten gelehrte Theologie anschauen, dann müssen wir uns schon fragen, ob das nicht auch das Grundproblem der heute vorherrschenden Theologie ist. Es kommt nicht von Ungefähr, daß nicht wenige modernistische Theologen einen Gott jenseits des in Christus geoffenbarten Dreifaltigen Gottes als den eigentlichen Gegenstand ihrer Theologie annehmen, daß sie für die dogmatisch definierten Lehren, die das Herz des Christentums betreffen, oft genug nur mehr Spott übrighaben.
Einen herzlichen Dank für dieses Interview!
Das Interview erschien zunächst in der Kirchlichen Umschau Jg. 20, Nr. 6, Juni 2017, S. 16, ff.