Erlösungsursächlichkeit in der Lehre des Hl. Thomas von Aquin, Martin Luthers, des Trienter Konzils und Heute

von Pater Arturo Ruiz Freites, IVE

Einführung: ein kleines philosophisch-theologisches Lexikon der Philosophia perennis

Ich möchte, zu Beginn meiner Ausführungen, die Philosophia perennis und einige mit ihr verbundenen Konzepte behandeln, da sie die Grundlage meiner These bilden. Was bedeutet Philosophia perennis? Der Begriff Philosophia perennis (lat., „immerwährende bzw. ewige Philosophie“) oder Philosophia perennis et universalis bezeichnet die Vorstellung, der zufolge sich bestimmte philosophische Einsichten über Zeiten und Kulturen hinweg erhalten (perennieren). Dazu zählen Konzepte und Prinzipien, die ewige, unveränderliche und allgemein gültige Wahrheiten über die tiefste Wirklichkeit, besonders den Menschen, die Welt und Gott ausdrücken. Vertreter der Philosophia perennis betonen, dass eine Bestreitung ewiger Wahrheiten zu einem bodenlosen Relativismus und Subjektivismus führe, was keine überzeugende Position sein könne (da sie sich selbst widerspricht). Dieses Konzept ist freilich in einem anderen Sinn auch von Gnostikern, Pantheisten und Esoterikern genutzt worden. Katholische Neuscholastischer sahen Ende des 19. Jahrhunderts diese „ewigen Grundwahrheiten“ bereits vollständig in der Synthese der platonischen und aristotelischen Philosophie mit der christlichen Offenbarungslehre und dem Thomismus beschrieben. So wird die Philosophia perennis als ein Lehrgebäude der scholastischen „Vernunftreligion“ wahrgenommen (vgl. auch Natürliche Theologie). Ausgangspunkt dieser Philosophie ist die Annahme, dass die menschliche Vernunft zu Wahrheiten die objektiv und allgemein zugänglich und deswegen für alle gültig sind, gelangen kann. Die Harmonie zwischen dem, was wir aus dem Geschaffenen und der Offenbarung Gottes erkennen, entspricht der Harmonie zwischen Vernunft und Glaube. Der heilige Thomas von Aquin führt aus:

1. Der Mensch hat zu Gott Beziehung als zu einem Endzwecke, welcher die Begriffskraft der Vernunft überragt. Denn es steht geschrieben: „Das Auge hat nicht geschaut, o Gott, ohne Dich, was Du bereitet hast denen, die Dich lieben.“ (1 Kor 2,9; vgl. Jes 64,4) Der Endzweck aber, soll anders der Mensch seine innere Meinung und sein Handeln danach einrichten und zum betreffenden Zwecke hinlenken, muß notwendigerweise vorher erkannt werden. Deshalb war es eine Notwendigkeit, daß, diesen Endzweck vorausgesetzt, dem Menschen einige Wahrheiten durch Offenbarung mitgeteilt wurden, welche die Begriffskraft der menschlichen Vernunft überragen.

2. Zudem war es auch nach einer anderen Seite hin notwendig, daß der Mensch durch Offenbarung von Seiten Gottes unterrichtet würde: nämlich für das leichtere Verständnis der rein natürlichen Wahrheiten. Denn was für Wahrheiten die menschliche Vernunft über Gott erforscht hat, das wissen verhältnismäßig nur wenige; und zwar erkennen sie es mit Zuverlässigkeit erst nach längerer Zeit; und noch dazu unter Beimischung mannigfacher Irrtümer; — und doch hängt von der Kenntnis dieser Wahrheiten das Gesamtwohl des Menschen ab, das ja in Gott besteht. Damit also die Menschen ihr Heil mit mehr Sicherheit und größerer Leichtigkeit finden, war es notwendig, daß sie über die göttlichen Dinge vermittelst der göttlichen Offenbarung unterrichtet würden. Somit erhellt die Notwendigkeit, daß außer den rein philosophischen Wissenschaften, in denen die natürliche Vernunft Maß und Richtschnur ist, auch eine heilige Wissenschaft es gebe, welcher als Stütze, Maß und Richtschnur die Offenbarung dient.

Die Kirche hat das Konzept der Philosophia perennis angenommen und sich zu Eigen gemacht. Die Vereinbarkeit von Vernunft und Glaube und die Prinzipien der Vernunft als Grundlage der göttlichen Offenbarung, die für alle Menschen und von allen Menschen verstehbar ist, wird durch diese ewigen Wahrheiten von der Kirche vorausgesetzt; in der Offenbarung selbst wurden solche Wahrheiten bestätigt: die sogenannten Voraussetzungen des Glaubens (Praeambula fidei). So im I. Vatikanisches Konzil (Dogmatische Erklärung Dei Filius über den Glauben, 1870), in den 24 Thomistischen Thesen von Pius X., im Dekret Optatam totius (OT) 15f. des II. Vatikanischen Konzils über die priesterliche Erziehung, in der Enzyklika Fides et ratio vom heiligen Johannes Paul II:

[…] An die Möglichkeit des Erkennens einer allgemeingültigen Wahrheit zu glauben, ist keineswegs eine Quelle der Intoleranz; im Gegenteil, es ist die notwendige Voraussetzung für einen ehrlichen und glaubwürdigen Dialog der Menschen untereinander. Nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, die trennenden Uneinigkeiten zu überwinden und gemeinsam den Weg zur ganzen, ungeteilten Wahrheit einzuschlagen, indem wir jenen Pfaden folgen, die allein der Geist des auferstandenen Herrn kennt (n. 109).

Ursache

Eine der Hauptwahrheiten der Philosophia perennis ist die der Ursache und damit des Kausalitätsprinzips, jedoch muss der Begriff Ursache von Bedingung (Voraussetzung) und Gelegenheit (Okkasion, Rechtzeitigkeit = dazu Okkasionalismus…) klar unterschieden werden. Wissenschaft ist die Kenntnis der Ursachen einer Sache und somit die tiefere Erkenntnis der Sache selbst, das woher, wozu, wofür, womit, woraus etwas besteht; d.h. etwas aus seinen Prinzipien heraus kennen. Heilig Thomas von Aquin, mit Aristoteles, definiert Ursache als Principium influens ad esse alterius: als das Sein eines Anderen beeinflussende Prinzip. (oder: als das Prinzip, welches das Sein eines Anderen beeinflusst). Die Wirkung (Effekt) unterscheidet sich wirklich (faktisch) von der Ursache. Die Ursächlichkeit (Kausalität) ist die wirkliche Beziehung, die in den modernen subjektivistischen oder positivistischen Philosophien auf den bloßen Zusammenhang der menschlichen Vorstellung (Repräsentativität) reduziert wird:

der angenommene gesetzmäßige Zusammenhang zwischen zwei aufeinander folgenden Ereignissen, von denen das eine (frühere) die Ursache und das andere (spätere) die Wirkung genannt wird. Nach dem Kausalitätsprinzip kann es keine Wirkung ohne Ursache geben. Für I. Kant war das Kausalitätsprinzip a priori, d. h. vor jeder Erfahrung gültig und notwendig zur Ordnung unserer Erfahrung. Für D. Hume stellte es lediglich eine ungerechtfertigte Verallgemeinerung unserer Gewohnheit dar, Ereignisse in Abhängigkeit voneinander zu sehen.

In der modernen Wissenschaftstheorie, insbesondere im Neopositivismus, ersetzt man das Kausalitätsprinzip zumeist durch einen funktionalen Zusammenhang, der die Ereignisse miteinander verbindet, ihre Aufeinanderfolge aber nur beschreibt und nicht erklärt.

Aristoteles unterscheidet zwischen vier Ursachen, der causa materialis (Materialursache), causa formalis (Formursache), causa efficiens (Wirkursache) und causa finalis (Finalursache). Die Wirkursache ist das Prinzip, welches eine Neuerung auf ein Ziel hin bewirkt. Sowohl die Wirkursache als auch die Finalursache sind äußere Ursachen, während die Materialursache und die Formursache innere Ursachen sind. Die Wirkursache wirkt durch ihre Aktion (Wirken, aktive Handlung). Das Empfangen dieser Aktion als Auswirkung (Effekt) im Subjekt ist eine Passion (Leiden, passives Empfangen). Der Wechsel der sich im Subjekt vollzieht (das Holz wechselt von Baum zum Tisch) die Aktion (das Wirken des Schreiners) und die Passion (das Leiden des Holzes), nennt man die Veränderung oder den Wechsel. In diesem Artikel werde ich besonders auf die Wirkursache eingehen. Um diese besser zu verstehen, nehme ich einleitend einige Begriffsbestimmung vor:

A) Erst- und Zweitursache

Die Erstursache als erstes Prinzip und Ursache aller Wirkung ist Gott: das Sein von Allem und das alles im Sein Erhaltende; Gott als Schöpfer. Die Zweitursache sind die Geschöpfe, die selber auch, obwohl abhängig von Gott, eine Ursache sind und zwar eine partikuläre Ursache, gemäß ihrer Natur, Form und Fähigkeiten. Folglich sind die vernunftbegabten Geschöpfe, ihrer Natur nach, vernünftige und freie Zweitursachen, gemäß ihren vernünftigen und freien Handlungen.

B) Haupt- und Instrumentalursache

Während die Hauptursache aus eigenen Antrieb (eigenen Prinzip: Natur, Form, Fähigkeiten) heraus verursacht, kann die Instrumentalursache (Werkzeugursache) ‒ als solche ‒ nur durch die Kraftquelle der Hauptursache wirken, sie wirkt durch die Wirkung einer anderen Ursache, ist Werkzeug dieser Ursache (der Hammer wirkt durch den Arbeiter). Auch lebendige, vernunftbegabte und freie Wesen (Menschen und Engel) können Instrumentalursachen sein, wie ein Sekretär oder ein katholischer Priester. Der katholische Priester, als Minister Jesu Christi und der Kirche, ist gleichzeitig Zweitursache und Instrumentalursache. Zweitursache seiner eigenen guten Werke, die seine Verdienste und Genugtuung in Gemeinschaft mit Jesus sind, ist er durch die Gnade Gottes die in ihm ist und wirkt und durch seinen freien Willen. Durch das im Weihesakrament verliehene unauslöschliche Siegel (character), wird er Instrumentalursache der Allmacht Gottes in Jesu Christi in der Handlung der sakramentalen Sündenvergebung und in der eucharistischen Wandlung (Transsubstantiation).

C) Dispositiv- und Perfektivursache

Dispositivursache ist eine Ursache in Bezug auf eine Wirkung oder ein Ereignis, sie ist die nötige oder angemessene Voraussetzung für eine weitere Ursächlichkeit. Das bedeutet, dass etwas eine Dispositivursache (Einstellungsursache) im Bezug zu einer Nachfolgeursache (sukzessiv) genannt wird. So ist das Gebet des Sünders eine Dispositivursache für das Gnadengeschenk der Bekehrung. Die Perfektivursache (Vollkommenmachendeursache), im Unterschied zu der Dispositivursache und deren Wirkung, verursacht die Vervollkommnung der Wirkung.

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